Schwerpunkt Trockenstress:
Wie Wasserhaushaltsmodelle und Feldsensorik helfen, das Ausmaß des Wassermangels im Weinbau zu quantifizieren und Anpassungsstrategien zu entwickeln
Über ein Wasserhaushaltsmodell, welches mit unterschiedlichen Daten gespeist wird, erarbeiten wir eine genaue und unmittelbar für die Bewässerungssteuerung anwendbare Trockenstressvorhersage. Mitten in der Weinlese in Sachsen geben wir einen Einblick in unsere Arbeit und in aktuelle Ergebnisse auf unserem Versuchsschlag in Seußlitz des Weinguts Schloss Proschwitz – Prinz zur Lippe und beleuchten die Relevanz von Trockenstressvorhersagen. Unter anderem zeigt sich, dass der Trockenstress sich in diesem Jahr zeitig ankündigte, die Unterschiede zwischen verschiedenen Hangbereichen groß waren und im Jahr 2022 ähnliche Verhältnisse herrschten wie in den trockenen Jahren 2018-2020.
Einleitung
Mit dem September steht auch auf dem Versuchsschlag von EXPRESS in Seußlitz die Weinlese kurz bevor. Allein für diesen kleinen Schlag sind sehr unterschiedliche Qualitäten zu erwarten. Zu wenig Regen erzeugte bei vielen, aber längst nicht allen Pflanzen enormen Trockenstress. Wie lässt sich das genauer verstehen? Wie lange reichen auf welchem Teilbereich die Reserven und welche Optionen gibt es, mit diesen Unterschieden umzugehen? Diesen Fragen widmen wir uns in diesem und folgenden Blogbeiträgen.
Wasserhaushaltsmodellierung
Auf dem Experimentierfeld in Seußlitz wurde in fünf Managementzonen, also spezifisch unterschiedlichen Teilflächen auf einem Schlag, Sensorik installiert, um die Wachstumsbedingungen der Rebpflanzen zu erfassen. Mithilfe der auf den erhobenen Daten aufgesetzten Wasserhaushaltsmodellierung konnten wir die Wasserversorgung der Reben genauer analysieren und sie mit den Gegebenheiten vergangener Jahre vergleichen. Wie bereits erwähnt, bestätigen die Messungen hier die Intuition: Die Jahre 2018-2020 und 2022 waren extrem trocken. Wenn Trockenstress immer mehr zunimmt, aber an unterschiedlichen Standorten, teilweise vielleicht sogar auf unterschiedlichen Teilflächen eines Schlags, unterschiedlich problematisch ausfällt: Wie lässt sich herausfinden, welche Wassermengen an welcher Stelle in naher Zukunft oder auch tagesaktuell benötigt werden? Kann man an einigen Stellen sogar innerhalb eines Weinberges auf Bewässerung verzichten und auf anderen ist sie dringend nötig?
In der Regel wissen die Betriebe aus eigener Erfahrung, wie es um die Schläge steht oder wo trockenere Zonen liegen. Die kontinuierliche Erfassung der Wachstumsbedingungen durch im Feld installierte Sensorik und die Datenauswertung in Modellen ermöglicht es, diese Erfahrung in Zahlen zu fassen und für die erwähnten Managementzonen (Abb. 1) differenzierte Entscheidungen zu treffen. Es findet so eine Bewertung der Wechselwirkung von Rebentwicklung, der Hanggeometrie, den Bodeneigenschaften und des Managements sowie dem Mikroklima statt. Die zusätzliche Einbeziehung von historischen Wetterdaten oder Wettervorhersagen ermöglicht es außerdem, aktuelle Bedingungen mit den Verhältnissen der vergangenen Jahren zu vergleichen und Vorhersagen für die nahe Zukunft zu treffen (Abb. 2). Diese Analysen können also bei langfristigen Anbauentscheidungen bezüglich Maßnahmen zur Anpassung an klimatische Veränderungen unterstützend hinzugezogen werden.
Feldsensorik und Wasserhaushaltsmodellierung: Wasserreserven quantifizieren
Schon Anfang des Jahres fielen die Niederschläge viel zu gering aus. Der ”Gewässerkundliche Monatsbericht“ für den März 2022 beschreibt diesen als zu warm, sehr sonnenscheinreich und mit einem Gebietsniederschlag von nur 17.1 mm als trockensten seit 78 Jahren. Zum Vergleich: Der vieljährige Mittelwert des Monats März lag zwischen 1991 und 2020 bei 55.0 mm Gebietsniederschlag. Die für den März 2022 im ”Gewässerkundliche Monatsbericht“ beschriebenen Zehrungen des Bodenwasserspeichers (Mitzschke, 2022) sind auch in Seußlitz zu beobachten und stiegen durch die Evapotranspiration der Begrünung schon vor Austrieb der Reben Ende April stark an. Die Menge des pflanzenverfügbaren Bodenwasservorrats sank seither kontinuierlich durch weiterhin geringe Niederschläge im Frühjahr und Sommer. Erst Ende August kam es zu ergiebigen Niederschlägen von in der Summe 59 mm, die diesen Trend unterbrachen. Die beobachteten Auswirkungen der geringen Niederschläge auf die Rebvitalität sind allerdings innerhalb des Weinhangs sehr unterschiedlich. Beispielsweise ist die südwestlich ausgerichtete Managementzone des Weinhangs durch eine relativ gute Wasserversorgung und einen stark lösshaltigen Boden charakterisiert. Dort zeigen unsere lokalen Modellierungen (modellbasierte Schätzung vgl. Hofmann et al., 2014) und Bodenfeuchtemessungen, dass die Bodenwassergehalte zwar im unteren Drittel im Vergleich zu den letzten sechs Jahren lagen, dass aber trotzdem erst nach Mitte August hier kurzzeitig kritischer Trockenstress auftrat. Die Reben in den Managementzonen 2, 4 und 5 unterlagen deutlich früher kritischem Trockenstress, da hier die pflanzenverfügbaren Bodenwasservorräte in geringe Bereiche reduziert waren. Die Folgen dieser Entwicklung sind schon vor der Ernte zu sehen: Starker Trockenstress verursachte Trauben mit kleinen Beeren, Sonnenbrand (mehr zu Sonnenbrand: Gambetta et al., 2021) und Gelbfärbung der Blätter auf den trockensten Teilbereichen (Abb. 1).
Blattwasserpotenzialmessungen: ein unmittelbarer Einblick in den Pflanzenwasserhaushalt
Über die zeitlich hochaufgelöste Bilanzierung des Wasserhaushalts im Weinberg mittels Mikroklimasensorik und Wasserhaushaltsmodellierung hinaus gibt es direktere Methoden, um die Wasserversorgung der Reben im Weinberg zu bestimmen. Auf dem Experimentierfeld setzen wir u.a. Saftflussmessungen, Infrarotmessungen zur Bestimmung der Reboberflächentemperatur und Blattwasserpotenzialmessungen ein. Außerdem dienen uns diese Methoden zur Kontrolle und Verbesserung des Modells für den untersuchten Weinberg. Eine für Weinreben etablierte und vergleichsweise einfache, schnelle und flexible Methode zur Bewertung des Wasserstatus ist die Messung des frühmorgendlichen Blattwasserpotenzials (c) mit Hilfe der Scholander-Druckkammer (Abb. 3, mehr zur Scholander-Druckkammer: Deloire et al., 2020; Rienth und Scholasch, 2019). Dieses wird vor Sonnenaufgang bestimmt. Durch nicht stattfindende Transpiration während der Nacht befinden sich das Wasserpotenzial der Pflanze und des wurzeldurchzogenen Bodens in einem Gleichgewicht (Deloire et al., 2020; Rienth und Scholasch, 2019). Die Messung gibt daher guten Aufschluss über die Verfügbarkeit des Bodenwassers für die Pflanze und kann für die Modellparametrisierung mit den modellierten Bodenwasserpotenzialen verglichen werden (Abb. 2).
Aus den Messwerten kann auf den Wasserstatus der Reben geschlossen werden. Grenzwerte für diese Einordnung werden in der Literatur leicht abweichend angegeben und sind zusätzlich auch entwicklungsstadium- und sortenabhängig. Deloire und Rogiers (2022) geben hierbei eine übersichtliche Zusammenfassung.
Auf dem Experimentierfeld in Seußlitz wurden am 4. Juli und 12. August 2022, zum Zeitpunkt der niedrigsten Bodenfeuchte in diesem Jahr, Messungen durchgeführt. Am 4. Juli waren darunter auch stichprobenartig Messungen an 3 Jungpflanzen aus diesjähriger Pflanzung. Entgegen der Wahrnehmung hohen Trockenstresses in den Weinhängen lag der Mittelwert der älteren Reben zum Messzeitpunkt am 4. Juli auf der südwestlich ausgerichteten Managementzone bei einem erst beginnend moderaten Trockenstress von -0,2 MPa (Tabelle 1 in Deloire und Rogiers, 2022). Dies ist auf die oben beschriebenen vergleichsweise guten Bodenverhältnisse in der gemessenen Managementzone zurückzuführen. Deutlich höher und variabler waren die Werte der Jungpflanzen mit jeweils moderaten -0,31 MPa auf dem Südwest-Hang und -0,35 MPa am Hangfuß, und bereits kritischem Trockenstress von -0,47 MPa auf den Terrassenlagen. Ein deutlich differenzierteres Bild bietet die Messung vom 12. August. Bei dieser wurden zusätzlich zur Teilfläche mit Südwestausrichtung weitere Managementzonen mit schlechterer Wasserversorung untersucht. Die oben bereits erwähnten Folgen des Trockenstresses waren dort vermehrt zu beobachten. Auf der Traminer-Fläche, die Richtung Süden ausgerichtet in einer Mulde am Hangfuß liegt, und auf der SW-ausgerichteten Rieslingfläche war der Trockenstress mit einem Wert von jeweils -0,29 MPa nur moderat. Die mit Riesling bestellte, südöstlich ausgerichtete Managementzone sowie die mit Traminer bestellte, nach Süden ausgerichtete Managementzone wiesen mit Blattwasserpotenzialwerten von -0,49 MPa und -0,53 MPa bereits kritischen Trockenstress auf. Am stärksten war die Trockenstressausprägung mit -0.61 MPa in der Terrassenlage. Auch visuell war diese Lage am stärksten betroffen. Die Bonitur der Reben in der Terrasse zeigte im Mai und Juni eine teilweise weiter fortgeschrittene Vegetationsentwicklung im Vergleich zu den anderen Managementzonen, im Juli und August verlangsamte sich hier trockenstressbedingt der Reifeverlauf deutlich. Gekennzeichnet war die Terrasse durch stark verrieselte und lockerbeerige Trauben. Für den Weinberg in Seußlitz zeigt sich also ein sehr diverses Bild mit teilweise markanten Unterschieden in der Wasserversorgung zwischen den Teilflächen.
Ausblick
Es finden zu den hier beschriebenen Messungen noch zusätzliche Messungen zum Saftfluss der Reben, zur Bodenfeuchte bis 150 cm Tiefe sowie Infrarotmessungen statt. Außerdem werden regelmäßige Drohnenbefliegungen zur flächendeckenden Betrachtung des Weinhangs und Ertragsanalysen der einzelnen Managementzonen durchgeführt. Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Muss jeder, der dieses Wissen über seine Schläge haben möchte, eine derart komplexe Kombination aus unterschiedlicher Sensorik verwenden? Kurz gesagt lautet die Antwort: Nein.
Die Aufgabe des Experimentierfeldes ist es, verschiedene Möglichkeiten der Erfassung des Wasserhaushalts mit verschiedenster Sensorik sowie der Wasserhaushaltsmodellierung zu testen und gegeneinander abzuwägen. In zukünftigen Beiträgen wollen wir hierbei auch den Einfluss treibender Trockenstressfaktoren wie Hanggeometrie und Bodeneigenschaften auf die jeweiligen Managementzonen bzw. die flächendeckenden Analysen genauer beleuchten. Wir nutzen also die Vielfalt der Messmöglichkeiten, um daraus die Komponenten für eine ausreichend genaue Betrachtung der Schläge und die Wasserhaushaltsprognose abzuleiten. Sie können außerdem bereits jetzt diese Beobachtungen für Ihre eigenen Schläge unmittelbar verwenden. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit den Wein- und Obstbaubetrieben in der Region einen direkten Mehrwert zu schaffen. Wir freuen uns daher über Diskussionen, Ihre Anregungen und Kritik.
Autoren: Rikard Graß, Hannah Boedeker, Valentin Knitsch
Literatur
Alain Deloire und Suzy Rogiers. Monitoring vine water status – Part 2: A detailed example using the pressure chamber, 2022. URL https://www.dpi.nsw.gov.au/__data/assets/pdf_file/0006/ 1182183/Monitoring-vine-water-status-part-2.pdf
Alain Deloire, Anne Pellegrino, und Suzy Rogiers. A few words on grapevine leaf water potential. IVES Technical Reviews, vine and wine, June 2020. ISSN 2680-4905. doi: 10.20870/IVES-TR.2020.3620. URL https://ives-technicalreviews.eu/article/view/3620.
Joanna M. Gambetta, Bruno P. Holzapfel, Manfred Stoll, und Matthias Friedel. Sunburn in Grapes: A Review. Frontiers in Plant Science, 11, 2021. ISSN 1664-462X. URL https://www.frontiersin. org/articles/10.3389/fpls.2020.604691.
Heike Mitzschke. Gewässerkundlicher Monatsbericht März 2022. Technical report, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden, April 2022. URL https://www.umwelt. sachsen.de/umwelt/infosysteme/lhwz/download/Monatsbericht_2022_03.pdf.
Markus Rienth und Thibaut Scholasch. State-of-the-art of tools and methods to assess vine water status. OENO One, 53(4), October 2019. ISSN 2494-1271. doi: 10.20870/oeno-one.2019.53.4.2403. URL https://oeno-one.eu/article/view/2403. Number: 4.
Marco Hofmann, Robert Lux, und Hans R. Schultz. Constructing a framework for risk analyses of climate change effects on the water budget of differently sloped vineyards with a numeric simulation using the Monte Carlo method coupled to a water balance model. Frontiers in Plant Science, 5, December 2014. ISSN 1664-462X. doi: 10.3389/fpls.2014.00645. URL https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4261715/.