EXPRESS: Schritte in die Praxis
Von den historischen Weinbergen oberhalb der Elbe, über die zwischen Leipzig und Dresden gelegenen Obstplantagen bis hin zu einem der ältesten Agrarversuche weltweit: Zum Start des Experimentierfelds EXPRESS hat das Team um Projektleiter Ingolf Römer im Herbst die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Betriebe im Bereich Sonderkulturen vor Ort erkundet.
Die Einführung neuer Technologien könnte enorme Potenziale zur Steigerung der Effizienz und zur ökologischen Ausgestaltung von Wertschöpfungsketten in der Landwirtschaft entfalten. Das regionale Experimentierfeld EXPRESS bietet mit fünf verschiedenen Schwerpunkten eine Plattform, um digitale Agrartechnik in den Bereichen Pflanzenbau und Sonderkulturen zu erproben. Ein Fokus liegt auf der Frage, wie sich entsprechende Methoden in die bestehenden Infrastrukturen landwirtschaftlicher Betriebe einbinden lassen – und mit welchen Schwierigkeiten dabei zu rechnen ist.
Zum Projektstart hat das EXPRESS-Team landwirtschaftliche Betriebe in der Region besucht, um vor Ort die Bedürfnisse kennenzulernen, ins Gespräch mit Fachleuten zu kommen und Impulse für den Projektverlauf abzuleiten. Dabei zeigte es sich, dass Lösungen „von der Stange“ oft nur begrenzt genutzt werden können. Vielmehr bedarf es passgenauer Ansätze, die mit Rücksichtnahme auf die bereits verwendete Agrartechnik sowie auf regionale und geografische Besonderheiten entwickelt werden.
Weingut Schloss Proschwitz, Meißen
Wer von den Rebstöcken des Weinguts Schloss Proschwitz hinab auf die Elbe und die historische Kulisse Meißens blickt, denkt dabei wohl kaum an Drohnen oder moderne Sensortechnik. Dennoch könnten beide Technologien die Arbeit am Hang deutlich vereinfachen. Im Gespräch mit dem Leiter des Außenbetriebs Walter Beck wurde allerdings auch deutlich, dass hierfür noch Anpassungen und Weichenstellungen nötig sind.
Etwa beträgt das maximale Ladegewicht für gängige Drohnen nur ungefähr 40 Kilogramm – für die intelligente Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln deutlich zu wenig. Gerade am Steilhang könnte auch das Gelände für Schwierigkeiten sorgen. Denn so malerisch sich die Granitfelsen aus dem Flusstal erheben, so komplex erweist sich ihre Oberflächenbeschaffenheit für die Auswertungssysteme moderner Kameratechnik.
Obstland Dürrweitzschen AG, Leisnig
Zwischen Leisnig und Grimma erstrecken sich die weitläufigen Obstwiesen der Obstland Dürrweitzschen AG. Neben Äpfeln, Birnen, Süß- und Sauerkirschen wachsen hier unter anderem Pflaumen, Beeren und Haselnüsse. Doch bevor die Früchte als Saft oder als Tafelobst in den Haushalten ankommen, müssen sie zunächst wachsen und reifen. Nicht alles Obst übersteht diese Phase unbeschadet. So sorgten Schädlinge wie der Apfelwickler immer wieder für Ernteausfälle, berichtete Hans-Dieter Bierig, Anbauberater der Obstland Dürrweitzschen AG.
Wenn es nach Ingolf Römer und Martin Schieck vom Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität Leipzig geht, könnten hier spezialisierte Kamerasysteme Abhilfe schaffen. Diese würden den Schädlingsbefall analysieren, um anschließend zielgerichtet Maßnahmen zum Pflanzenschutz zu ergreifen. Denkbar wäre hier die Ausbringung von Nützlingen wie beispielsweise Schlupfwespen. Moderne Kameratechnik könnte auch die bedarfsgerechte Ausbringung von Obstkisten unterstützen, indem vorab analysiert würde, an welchen Stellen wie viel Früchte wachsen und wo dementsprechend mit viel oder wenig Ertrag zu rechnen ist.
Global Change Experimental Facility (GCEF), Bad Lauchstädt
Schon seit 1895 wird auf der Versuchsstation Bad Lauchstädt in Sachen Landwirtschaft geforscht. Heute untersuchen Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ hier die Auswirkungen des Klimawandels. Dazu bietet die Global Change Experimental Facility (GCEF) perfekte Voraussetzungen. Die Anlage gestattet es, die zukünftig erwarteten Temperaturen und Niederschläge sowie deren Folgen für verschiedene Formen der Landnutzung zu simulieren. Möglich wird das durch vom IMMS entwickelte energieeffiziente und witterungsbeständige drahtlose Sensornetzwerke sowie eine Sensorplattform. Mit dieser Technik erhebt das UFZ großflächig und über lange Zeiträume Daten zu Boden- und Luftfeuchte, Temperatur und Licht, überträgt sie an die Europäische Umweltdatenbank TERENO und nutzt sie für Analysen und Simulationen.
Wissenschaftlicher Koordinator des Projekts ist Dr. Martin Schädler, der dem EXPRESS-Team seine Erfahrungen mit der verbauten Sensortechnik schilderte. Solche könnte auch für den landwirtschaftlichen Bereich interessant sein, fraglich ist jedoch die konkrete Ausgestaltung. Eine Anwendung wie am GCEF wäre etwa mit dem Problem verbunden, dass die Bodensensoren ein Hindernis während der Ernte darstellen könnten. Wie konkrete Lösungen in diesem Bereich aussehen könnten, wird eine der Fragen sein, die im weiteren Verlauf von EXPRESS zu klären sind.
Agricon Gmbh, Ostrau
Über den aktuellen Stand der Agrartechnik konnte sich das EXPRESS-Team beim Besuch des Precision-Farming-Anbieters Agricon informieren. Dr. Martin Schneider, Leiter im Bereich Produktmanagement, führte anhand einer beispielhaften Buchführung vor Augen, wie gering die Gewinnmarge in der Landwirtschaft heute ist. Das Beispiel zeigte auch, wie bedeutsam sich bereits geringe Steigerungen der Produktivität auf das Endergebnis auswirken.
Der Besuch bei der Agricon GmbH offenbarte ein weiteres Problem, mit dem innovationsoffene landwirtschaftliche Betriebe zu kämpfen haben: die zumeist geschlossenen Softwaresysteme der Hersteller von Agrartechnik. Deren Maschinen können untereinander oft nicht kommunizieren und schöpfen so die zentralen Mehrwerte der Daten gar nicht erst ab. Zudem verzichten viele Hersteller auf Schulungen der Anwenderinnen und Anwender. Viele Möglichkeiten, die bereits bestehen, werden so nicht abgerufen und liegen, sozusagen, brach.
Lösungen für die Praxis
Mit dem Besuch landwirtschaftlicher Betriebe hat das EXPRESS-Projektteam entscheidende Schritte in die Praxis getan. Die identifizierten Schwierigkeiten bei der Anwendung digitaler Agrartechnik gilt es im weiteren Projektverlauf zu lösen.
Begleitet durch eine Wissenstransferstrategie können sich in den nächsten drei Jahren weitere landwirtschaftliche Akteure dem Projekt anschließen. Damit fördert EXPRESS den Austausch zwischen Akteuren in der Landwirtschaft und schafft Anreize zur Durchführung innovativer Projekte im Pflanzenbau.