Transdisziplinäre Forschungsprojekte bringen Wissenschaft und Praxis zusammen. Doch gute Zusammenarbeit entsteht nicht von selbst. Im Projekt EXPRESS arbeiteten über sechs Jahre 20 verschiedene Forschende aus vier Forschungsorganisationen mit Winzern und Obstbauern an digitalen Lösungen für den Sonderkulturenanbau. Dabei zeigte sich: Vertrauen, Rollenflexibilität und kommunikative Kompetenz sind entscheidend. Dieser Beitrag stellt vier Best Practices vor, die wir aus der Projekterfahrung destilliert haben. Es sind keine allgemeingültigen Rezepte, aber konkrete Beobachtungen, die anderen Digitalisierungsprojekten solcher Größenordnung als Orientierung dienen können.
Von Valentin Knitsch und Lukas Wittmann
Ausgangspunkt
Am Ende unseres Forschungsprojekts EXPRESS haben wir genau hingeschaut, was in Sachen Zusammenarbeit funktioniert hat. Logischerweise geht es in diesem Beitrag deshalb weniger um die eigentliche Digitalisierungsforschung als vielmehr um deren Gelingensbedingungen. Ein Förderkriterium war ein konkreter und ausgeprägter Wissenstransfer. Uns war klar, dass wir mit verschiedenen Formen der Zusammenarbeit und des Wissensaustauschs experimentieren mussten. Also entwickelten wir ein Zielbild, eine Strategie und investierten viel Energie in deren Umsetzung. Sechs Jahre später haben wir für eine nicht-technische Evaluation zehn Interviews geführt und interne Dokumente, Protokolle und Veranstaltungen ausgewertet.
Kein Projekt läuft nach Plan. Je länger die Förderlaufzeit und je größer die Förderung, desto mehr braucht man Improvisation, Situationsbewusstsein und sensibles Management. Es gibt eine umfangreiche Literatur zum wissenschaftlichen Projektmanagement und insbesondere zur transdisziplinären Zusammenarbeit. Allerdings ist es schwierig, im Dschungel der Literatur Ratschläge zu finden, die auf das eigene Projekt anwendbar sind. Je spezifischer der Kontext, desto schwieriger ist es, die Literatur anzuwenden. Anders formuliert: Wir kennen die Herausforderung rund um die Frage guter anwendungsorientierter Kooperation, aber wir wissen selten genau, was zu tun ist. Deshalb berichten wir in diesem Beitrag über vier Best Practices, die wir für jedes größere transdisziplinäre Forschungsprojekt für bedenkenswert halten.
Das Kernteam des EXPRESS-Projekts bestand über einen langen Zeitraum aus acht Personen von vier Forschungsorganisationen. Mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen stießen wir auf typische Herausforderungen des interdisziplinären Verständnisses und später der transdisziplinären Zusammenarbeit mit Winzern und Obstbauern. Die folgenden Best Practices haben nicht allein zum Projekterfolg geführt. Vielmehr mussten die bekannten Faktoren für gutes Wissenschaftsmanagement und transdisziplinäre Kooperation in unterschiedlichem Maße zum Tragen kommen. Sie sind keine neuen Faktoren, sondern bestimmte Zusammenspiele von Faktoren wie Vertrauen, Führung, Motivation, Fachexpertise, Flexibilität und so weiter. In einem wissenschaftlichen Artikel wurde gemeinsam mit Kolleginnen mehr über solche Faktoren geschrieben.
















Beobachtung 1: Aufbruchsstimmung nutzen
In bestimmten Momenten erreichte EXPRESS eine bemerkenswert intensive Zusammenarbeit zwischen allen Konsortialpartnern. Diese Aufbruchsphasen (Honeymoon-Phasen) traten mindestens zweimal auf: zu Projektbeginn und gegen Ende der ursprünglichen Förderperiode, als wir in eine dreijährige Verlängerungsphase übergingen. Beide Phasen waren geprägt von intensiver interner Kommunikation, Diskussionen über die mittelfristige Ausrichtung und der Aktualisierung von Arbeitsplänen. Diese Diskussionen waren auch konfliktreich – insbesondere hinsichtlich der Frage, wie breit oder eng anstehende Aufgaben konzipiert werden sollten.
Gleichzeitig erwies es sich als unmöglich, den Projektplan einfach wie geschrieben umzusetzen. Veränderungen der Rahmenbedingungen erforderten kontinuierliche Anpassung. Unser Forschungsversprechen war es, die Interessen unserer Partnerunternehmen zu berücksichtigen, weshalb wir den eigentlichen Projektplan regelmäßig aktualisierten. Beispielsweise begann einer unserer Partner mit dem Testen von Fahrerassistenzsystemen für Weinbergschlepper und wechselte aufgrund der Interessen unserer Partner zu Experimenten mit großen Sprühdrohnen für Steillagen. Am Ende herrschte viel Unklarheit über die tatsächlichen Ziele und wie diese für wen erreicht werden sollten. Während der Kick-off-Aktivitäten rund um Projektstart und -verlängerung gelang es uns, diese Unklarheit zu strukturieren und (erneut) verbindliche Ziele für das Projekt festzulegen.
Wir würden argumentieren, dass diese Phasen nicht deshalb als Best Practice gelten, weil sie reibungslos verliefen, sondern weil sie eine echte und ehrliche Aushandlung der gegenwärtigen Situation beinhalteten. Zusätzlich sorgten die Arbeitspaketleiter dafür, dass diese Neukalibrierung auf vielfältige Weise visualisiert wurde (Roadmaps, Retrospektiven, Veranstaltungen, Erfolge). Treffen fanden nach Möglichkeit immer in Präsenz statt und schlossen soziale Aktivitäten außerhalb der Kernarbeitszeiten ein. Dies führte letztlich zu Aufbruchsphasen, in denen viele Projektversprechen erfüllt wurden. Aufbruchsphasen (oder Phase 0) sind ein gut beschriebenes Phänomen. Die Herausforderung besteht darin, die sozialen Bedingungen des eigenen Projekts zu verstehen, um in Zeiten des Wandels neue Dynamik zu entfachen.
Beobachtung 2: Hybride Rollen gelten auch für Ihre Partner
Ein zentrales Spannungsfeld war von Beginn an in EXPRESS eingeschrieben: der Zielkonflikt zwischen der Fokussierung auf unmittelbare praktische Technologieerprobung und dem Streben nach verallgemeinerbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dieses Spannungsfeld führte nicht nur zu internen Debatten unter den Forschungspartnern, sondern erforderte auch, dass Projektmitglieder ihre eigenen Rollen kritisch hinterfragten. Während einer qualitativen Evaluationssitzung brachte es ein einflussreicher Berater aus dem Obstbausektor auf den Punkt: ‚Die Betriebe stehen Oberkante Unterlippe. Wir brauchen keine neuen Technologien – wir brauchen Kommunikation mit der Politik und der Öffentlichkeit.‘ Gleichzeitig konzentrierte sich unser Projekt auf das Experimentieren mit innovativen Technologien. Forschende in diesem Projekt mussten die Bedürfnisse und Zwänge der Landwirte annehmen – sie mussten deren Perspektive einnehmen. Dies resultierte in der Organisation von hochkarätigen Messeauftritten und Veranstaltungen als Teil des Projekts. Fazit: Forschende werden es sehr schwer haben, wenn sie die Interessen der Unternehmen nicht berücksichtigen und ihre Arbeit – zumindest teilweise – auf diese Stakeholder zuschneiden.
Die Literatur zur transdisziplinären Forschung beschreibt dies als hybride Rollenidentitäten. Ohne vorherige Kenntnis dieser Forschung entwickelte das Team organisch genuin transdisziplinäre Aktivitäten; bestehende Rollen wurden modifiziert oder erweitert. Die Forschung beschreibt drei Archetypen: den wissensorientierten Forscher, den veränderungsorientierten Forscher und den vermittelnden Forscher. Alle drei traten temporär in unserem Projekt auf.
Zur bisherigen Forschung gibt es aber eine neue relevante Beobachtung: Auch nicht-akademische Akteure übernahmen hybride Rollen. Bei der Entwicklung eines Blockchain-Prototyps für einen digitalen Produktpass dokumentierte ein engagierter Mitarbeiter eines Obstbaubetriebs akribisch Ernte- und Verarbeitungsdaten, ohne finanzielle Vergütung und ohne konkrete Vorstellung bezüglich der zu erwartenden Ergebnisse. Transdisziplinäre Forschung bedeutete in diesem Fall die Herausbildung eines ‚forschungsorientierten Praktikers‘.
Dieses Engagement entstand wiederum nur, weil Forschende Glaubwürdigkeit aufgebaut und echte Motivation gezeigt hatten. Die Bereitschaft, neue Rollen zu erkunden und anzunehmen, hängt grundlegend vom Aufbau vertrauenswürdiger, wertschätzender zwischenmenschlicher Beziehungen ab. Ermöglichende Faktoren waren unter anderem die bereits erwähnte gemeinsame Projektvision, intrinsische Motivation und zumindest grobe Kenntnis über Arbeitsbelastung und Arbeitsabläufe der Partner. Diese Bedingungen zu schaffen ist nicht trivial und deshalb eine Best Practice.
Beobachtung 3: Forschende müssen das Eis brechen
In den meisten Interviews tauchte ein Thema immer wieder auf: Transdisziplinäre Zusammenarbeit leidet oft unter anfänglicher Skepsis der Praktiker. In einigen Fällen beschrieben Interviewpartner identifizierbare Durchbruchsmomente. Diese Berichte stachen aus dem ansonsten reflektierenden und selbstkritischen Ton der Gespräche hervor. Ich betrachte sie als Best Practice, weil es Forschenden gelang, Praktiker für Feldversuche zu gewinnen. Sie demonstrierten, was wir ‚Icebreaking Abilities‘ nennen würde.
Diese Fähigkeiten umfassen mehrere Elemente. Erstens erfordern sie intrinsische Motivation, Praktiker und ihre Umstände zu verstehen. Zweitens ist Icebreaking grundlegend eine kommunikative Kompetenz: Forschende müssen in der Lage sein, ihre Arbeit in der Sprache zu erklären, die Praktiker tatsächlich verwenden. Die Rhetorik muss anknüpfungsfähig sein an die Art, wie Praktiker selbst über ihre Arbeit sprechen.
Aber Icebreaking bedeutet auch, hinter der eigenen Forschungsidee zu stehen und sie glaubwürdig zu verkörpern. In einigen Fällen schloss dies Verfügbarkeit außerhalb regulärer Arbeitszeiten ein. Forschende mussten demonstrieren, dass sie Zeit, Ressourcen und Kompetenz hatten, um das Vorgeschlagene tatsächlich umzusetzen. Icebreaking ist kein einmaliger Akt, sondern eine erlernte Fähigkeit, die sich durch wiederholtes Engagement entwickelt. Diese Kompetenz ist weit entfernt vom stereotypen Kompetenzprofil eines Forschenden. Es ist auch sehr diskutabel, ob diese Bereitschaft zu Mehrarbeit eingefordert werden kann. Aber in diesem Projekt hat sie sich als Best Practice erwiesen, um transdisziplinäre Kooperation in Gang zu bringen.
Beobachtung 4: Research Ambassadors stabilisieren die Forschung
Als Research Ambassadors werden projektexterne Personen bezeichnet, die sich in besonderer Weise für ein Projekt interessieren und Ressourcen für die Zusammenarbeit bereitstellen. Sie verbinden tiefes intrinsisches Interesse an Forschung mit wirtschaftlichem Interesse für den eigenen Betrieb und treten innerhalb ihrer Netzwerke öffentlich als Fürsprecher des Projekts auf.
In EXPRESS nahmen Research Ambassadors eine herausragende Stellung ein, obwohl sie nur lose mit dem Projekt assoziiert waren. Ein externer Partner gewährte dem Projekt erhebliche gestalterische Freiheit für Feldversuche. Seiner eigenen Vision für die Weinbergentwicklung folgend, forderte er keine kurzfristigen Änderungen im Tagesbetrieb. Stattdessen ermutigte er seine Mitarbeitenden, sich intensiv mit den Forschenden auseinanderzusetzen. Dies stabilisierte die Forschungsaktivitäten und führte auch dazu, dass Forschende zunehmend mit Rückschlägen umgingen und neue Forschungsrisiken außerhalb des Projektplans eingingen.
Das Gewinnen von Research Ambassadors erfolgte nur teilweise geplant und kaum systematisch. Die Wege waren unterschiedlich: Ein Partner wurde über persönliche Kontakte eingeladen, ein anderer signalisierte Interesse bei einer EXPRESS-Veranstaltung, ein dritter wurde erstmals im Rahmen einer Interviewreihe angesprochen. Weil es gelang, diese Beziehungen über die Zeit zu pflegen, zählen wir dies als Best Practice.
Allerdings bestehen hier auch beträchtliche Risiken. Wenn Research Ambassadors nicht mehr verfügbar sind, können ganze Initiativen zusammenbrechen. Dies geschah in EXPRESS, als ein Research Ambassador die Mitwirkung aufgrund unvorhergesehener Umstände einstellen musste. Die Fragilität solcher Beziehungen gehört zur Realität transdisziplinärer Arbeit.
Ausblick
Die hier beschriebenen Beobachtungen sind keine Erfolgsrezepte, die sich beliebig replizieren lassen. Es sind Reflexionen aus einem spezifischen Projektkontext, die illustrieren, welche Faktoren transdisziplinäre Zusammenarbeit fördern können. Gleichzeitig traten erhebliche Hindernisse auf: Personalfluktuation, begrenzte Verfügbarkeit der Praktiker, starre Projektpläne und die grundlegend unterschiedlichen Logiken von Forschung und Praxis.
Muss jedes Projekt diese Lektionen von Grund auf neu lernen? Wir glauben nicht. Aber es braucht Räume für Reflexion, flexible Projektstrukturen und die Bereitschaft, Rollen und Arbeitsweisen kontinuierlich neu auszuhandeln. Forschung gemeinsam mit Landwirten und landwirtschaftlichen Akteuren zu betreiben, ist kein Zustand, der erreicht werden kann, sondern ein Prozess, der aufrechterhalten werden muss.
Haben Sie Fragen?
Valentin Knitsch
Wissens- und Technologietransfer Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Literatur
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Knitsch, V., Daniel, L. & Welz, J. (2024) Mapping varieties of farmers’ experience in the digital transformation: a new perspective on transformative dynamics. Precision Agric 25, 1958–1981 .